Tango der Sehnsucht
Er ist ein intellektueller Mann,
einer, mit dem man über alles reden kann,
vielseitig engagiert und äußerst kompetent,
ein Man, der was zu sagen hat und seinen Wert auch
kennt.
Sie ist an sich eine selbstbewußte Frau,
und was sie will, weiß sie meistens ganz genau.
Sie versteht was vom Leben, hat so manches gesehn,
spricht aus, was sie sich denkt, und ist nicht leicht zu übergehn.
Aber wenn er kommt, wird ihre Stimme plötzlich leise,
und ihr Verstand dreht sich im Kreise
wie ein buntes Ringelspiel.
Sie wollte grade etwas sagen,
jedoch ihr Puls beginnt zu jagen,
drum stellt sie lieber ein paar Fragen,
denn er redet gern und viel.
Sie grübelt lang und beschließt, dorthin zu gehn,
wo sie annimmt, zufällig ihn zu sehn,
spricht ihn beiläufig an - er scheint hoch erfreut
und nimmt sich spontan für sie ein Stündchen Zeit.
Er spricht über Wirtschaft, Kultur und Politik.
Sie schaut auf seine Hände, lächelt und nickt,
sie schaut in seine Augen und durch seine Theorien.
Er springt auf, es ruft sein nächster Termin ...
Und zum Abschied küßt sie in flüchtig auf die Wange,
und dabei fragt sie sich: Wie lange
spiel ich diese Rolle mit?
Doch die Gedanken wie in Trance
schielen schon nach der nächsten Chance.
Er raubt ihr jegliche Balance,
indem er sich entzieht.
Wenn sie an ihn denkt, durchrieselt's sie warm,
sie träumt wilde Nächte in seinem Arm,
führt heiße Diskussionen mit einem Phantom,
das erinnert entfernt an seine Person.
Sie schwört sich: Ich sag ihm alles ins Gesicht!
Da sieht sie in gleich viele Wochen nicht,
gewinnt Distanz, denkt: jetzt komm ich klar.
Da trifft sie in wieder - und es ist, wie es war.
Ja, die Sehnsucht, die macht süchtig nach dem Sehnen,
sie lebt von Träumen und von Tränen
und nährt sich aus der Phantasie.
Könnte die Lust sich frei entfalten,
sie würde irgendwann erkalten.
Die Sehnsucht läßt sich ewig halten,
denn sie erfüllt sich nie.
© Claudia Mitscha-Eibl, A-2100 Korneuburg
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